Türkei-Proteste Burak Copur (35), Institut für Turkistik Uni Duisburg-Essen: „Die Entwicklung ist brandgefährlich“

Rund drei Wochen dauern die Proteste in der Türkei schon an. Auch viele Essener mit türkischen Wurzeln beschäftigt die nach wie vor angespannte Situation. Unsere Redaktion hat einige von ihnen nach einer Einschätzung der aktuellen Lage in der Türkei gefragt. Die Stimmen reichen von „unverständlich“ bis „besorgniserregend“.

Was vor rund drei Wochen mit friedlichen Protesten auf dem Taksim-Platz in Istanbul begann, hat sich europaweit zu einer gesellschaftspolitischen Debatte über Polizeigewalt, Pressefreiheit und Demokratie ausgeweitet. Auch die Solidaritätsbekundungen in Deutschland reißen nicht ab, Zehntausende türkischstämmige Bürger gingen hier schon auf die Straße, zuletzt am Wochenende in Köln. Auch viele Essener mit türkischen Wurzeln beschäftigt die nach wie vor angespannte Situation. Unsere Redaktion hat einige von ihnen nach einer Einschätzung der aktuellen Lage in der Türkei gefragt:

1. Mit welchen Gefühlen erleben Sie die Unruhen in der Türkei?

Die unverhältnismäßige Reaktion des Ministerpräsidenten Erdogan auf die Proteste ist höchst besorgniserregend. Erdogan versöhnt und beruhigt die Bevölkerung nicht, sondern heizt immer weiter den Konflikt an und treibt das Land mit seinem herablassenden Verhalten gegenüber den Demonstrierenden ins Chaos. Die Entwicklung ist brandgefährlich.

2. Halten Sie die Proteste für gerechtfertigt?

Die Rebellion ist im Kern gerechtfertigt, auch wenn es ein paar Krawallmacher unter den Protestierenden gibt. Es ist eine Freiheitsbewegung, eine türkische „Wir-sind-das-Volk-Bewegung“. Die Menschen sagen „Es reicht!“ zu einem selbstverliebten, arroganten Alleinherrscher, der bis in die Schlafzimmer der Menschen hinein regieren will.

3. Reagiert Erdogan Ihrer Ansicht nach richtig?

Erdogan hat alles falsch gemacht, was man zur Konfliktlösung nur falsch machen kann. Er ist kein Integrator, sondern ein Spalter. Aus seiner Sicht ist das alles eine interne und internationale Verschwörung gegen seine Regierung. Doch dieser Paranoia kann ich politikwissenschaftlich nichts mehr entgegensetzen, da ist jetzt der Rat meiner Kollegen aus der Psychologie gefragt.

4. Wie wird der Konflikt ausgehen und welche Konsequenzen hat das für die hier lebende türkische Bevölkerung?

Wie der Konflikt ausgeht, ist derzeit schwer vorherzusagen, aber wenn Erdogan weiter an der Gewaltspirale dreht, dann zerstört er sowohl sein Lebenswerk, als auch die Zukunft eines wunderschönen Landes. Für die Türkeistämmigen hier bedeutet der Konflikt ein zumindest temporäres Zusammenrücken. Erdogan hat es mit seiner unversöhnlichen Art geschafft, dass Türken, Kurden und Aleviten gemeinsam demonstrieren. Wer hätte das je für möglich gehalten?

Julia Rathcke

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